Für wen opferst Du Dich?
Text: Heike Trost
Die Ausstellung des Hamburger Bildhauers fällt in die Passionszeit, die Zeit der Erinnerung an die Leiden Christi. Einkehr und
Buße prägen die Grundhaltung dieser Phase, welche zum Teil auch äußerlich durch Fasten begangen wird.
Diese Thematik bildet den Hintergrund der neuesten Arbeiten Heinrich Eders. Alle Werke entstanden in den letzten zwei Jahren.
Der Künstler nimmt die Passion zum Anlass für eigene Interpretationen und komplexere Fragestellungen. Er belässt es nicht
dabei, das Opfer, die Opferbereitschaft oder Hingabe bildnerisch wiederzugeben. Die Kernfragen der Passionszeit stellt er
raumgreifend vor. Seine Skulpturen bieten Denkanstöße zu unserer Religion, Kultur und Identität. Sie richten sich einerseits
konkret an den Betrachter und verdeutlichen darüber hinaus gesamtgesellschaftliche Problemstellungen.
Ohne Titel
Die Figur des Gekreuzigten entspricht der christlichen Bildtradition. Die barockhafte Stilform lässt die Christusfigur als zentrales
Symbol unserer Religion oder auch als zentrales Kunstobjekt der Reisen in süddeutsche katholische Kirchen wiedererkennen.
Die ausgearbeitete Haltung und die Gesichtszüge erlauben aber auch ein Versenken in die Figur und in die Fragestellung nach
unserer Religion und dem Umgang mit Symbolen. Diskussionen wie der bayrische Kruzifix-Streit oder das aktuelle Aufflammen
des Karikaturenstreits sind hierin impliziert.
Für wen opferst Du Dich?
Auch eine zweite Figur in dieser Ausstellung ist als Christus zu deuten. Sie ist allgemeiner gehalten, weil sie eben nicht das
Abbild unserer gängigen Vorstellung ist. Dieser Christus ist eine individuelle Deutung des Künstlers: Die auf dem Standkreuz
montierte Kinderfigur wird durch die Art der Anbringung dem Betrachter demonstrativ zur Schau gestellt und spielt
damit auf die Zurschaustellung Jesus vor Pilatus, das „Ecce homo-Motiv“ an. Die „persönliche“ Christusfigur stellt ein
verwundetes Kind, ein hilfloses Kind dar. Wer genauer hinschaut sieht die Spalte, die im Kopf klafft. Hartes Holz hat
der Künstler bearbeitet und den Riss aussagekräftig integriert. Hier zeigt sich, wie Eder es schafft, mithilfe bewusster
Materialauswahl und der fulminanten Ausarbeitung Facetten aufzuzeigen und zu integrieren. So bietet er eine neue
Interpretation des bekannten Motivs. Das Kind weist uns darauf hin, „dass das Thema nicht rein geschichtlich zu sehen
ist“ (Eder). Die Werte, für die diese Aufopferung geschah, sind immer noch aktuell - genauso wie das Einstehen für
Werte überhaupt. Liest man die Figur nicht religiös, sondern lässt die Ausdrucksstärke des Bildes sprechen, fragt uns
die Kinderfigur nach dem Sinn des aktuellen Mordens, Töten, in Kauf nehmen von Gewalt auf der Welt...
Für wen gibst Du Deine Welt auf?
Von der Reflexion über den Umgang mit Kulturen zeugt der kleine Indianerjunge. Zur Interpretation des Kindes eines
Naturvolkes wählte Eder die natürliche, einfache Fichte. Die Aussage dieses (zur Bearbeitung sehr widerspenstigen,
da spröden) Holzes, das Konnotationen an Naturvölker Ursprünglichkeit, Unberührbares, hervorruft, ist ganz bewusst
getroffen. Eder schafft es, durch Gesten und feine Ausarbeitung, Gefühle darzustellen und beim Betrachter zu evozieren.
Dazu bedarf es bei ihm keiner äußerlich „aufgebappten“ Zeichen oder anderen Hilfsmittel. So wird eines ganz deutlich,
„ das Ausgeliefertsein der Einzelnen. Mit welchem Recht zerstört die eine Kultur die andere und wozu? (Eder)“.
Für wen verbiegst Du Dich?
Die in sich verbogene Figur ist zunächst einmal ästhetisch sehr anmutig und elegant. Sie irritiert mit der Frage: Für wen
verbiegst Du Dich? Heinrich Eder sieht im Kunstturnen der gummipuppenartigen Zirkusartisten ein Opfer.
„Der Missbrauch des Körpers ist hier angesprochen (Eder)“. Die hohe Abnutzung, die nachhaltigen Schmerzen der
Artisten stehen im großen Widerspruch zum kurzweiligen, kurzzeitigen Genuss der Zuschauer. Gleichzeitig fordert er
uns alle zum Nachdenken über eigene, innere Winkelzüge und Schaustellereien auf. Das bildhauerische Mittel Eders
ist hier der Kontrast zwischen der Ästhetisierung der Skulptur und der abstoßenden Thematik, die den
Seh-Gewohnheiten widerspricht.
Text: Heike Trost